Auch in diesem Jahr hieß es wieder „new storytelling“, als am 25. September 2019 zum elften Mal das scoopcamp im Theater Kehrwieder in Hamburg stattfand. Rund 250 Gäste, darunter Journalisten, Entwickler und Mediapreneure, fanden wieder zusammen, um Inspiration bei spannenden Keynotes zu suchen oder sich untereinander auszutauschen und in Workshops produktiv in Kontakt zu treten. Unser Kollege Jonas war auf der Veranstaltung unterwegs und teilt seine Eindrücke mit uns in seinem Recap.
One in the eye is more than eight in the ear: der scoop Award 2019
Den Anfang machte der Senator der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg Dr. Carsten Brosda. In seiner Eröffnungsrede sprach er darüber, was Journalismus heutzutage leisten kann und welche Herausforderungen damit verbunden sind. In diesem Kontext äußerte er den Satz: „One in the eye is more than eight in the ear.“ Damit wollte er unterstreichen, wie bedeutungsvoll visuelle Inhalte in unserer Medienlandschaft mittlerweile sind.
Die Laudatio für den scoop Award 2019 wurde von Anita Zielina gehalten. Sie unterstrich die einfache und engagierte Persönlichkeit der diesjährigen Preisträgerin Shazna Nessa und erwähnte lobend ihr Streben nach Innovation, Vielfalt und Kreativität.
Die Umkehr der journalistischen Paradigmen: Shazna Nessas Keynote
Sie ist Head of Visuals beim Wall Street Journal und als frischgebackene Gewinnerin des scoop Awards hat sie direkt die erste Keynote gehalten. Thema ihres Vortrags war: „Flipping the paradigm with textured storytelling and design at the center.“ Nessa hob besonders den visuellen Aspekt im Datenjournalismus hervor. Man müsse insgesamt derartige Möglichkeiten vollumfassend ausschöpfen, da der Journalismus ansonsten irrelevant werde.
Sie zeigte Beispiele, in denen Journalisten anschaulich die Funktionsweise von Algorithmen oder Deepfakes darstellten. Insbesondere bei Letzterem stehe die potenzielle Gefahr, die von der Technologie ausgehe, im Mittelpunkt. Unter dem Schlagwort Immersive Storytelling wies sie auf den Trend hin, dass AR und VR auf lange Sicht Einzug in unsere tägliche Mediennutzung halten werden. Sinngemäß sagte sie dazu: Die Flat Screens werden auf lange Sicht nicht ausreichen, da sich das Konsumverhalten verändere.
„The desire for multimedia is becoming more important for a younger and more tech savvy audience.“
Gerade die jüngeren Zielgruppen werden für Medienschaffende immer wichtiger. Deshalb seien Formate, die analog zu Instagram wie Stories aufgebaut sind, wesentlich erfolgreicher und haben eine besonders hohe Completion Rate. Gerade visuelle Inhalte sind es, die von den Lesern gefordert werden. Den Abschluss ihres Vortrags machte ein Ausblick dahin, dass besonders Coder und Designer den Journalismus der Zukunft prägend mitgestalten werden – mit Blick auf informative (Bewegt-)Bild- und AR-/VR-Formate.
Wunderbare Tools für alle Medienschaffenden präsentiert von Jeremy Caplan
Jeremy Caplan war quasi der Inspector Gadget des Tages und zeigte in seinem Vortrag passende Tools für unterschiedliche Situationen. Er präsentierte seine persönlichen Wondertools 2020, die so einiges an nützlichem und spannendem Input boten. Primär ging es darum, Visual Storytelling gewinnbringend in der Praxis zu unterstützen, etwa durch Tools zur Bild- und Videobearbeitung oder zur Aufbereitung von Daten.
Während Technologie einen immer größeren Stellenwert im Content einnimmt, werde gleichzeitig die technische Basis immer weniger erkenntlich. Eindrucksvoll zeigte er dies am Beispiel der Hologramm-Technik, die dafür Sorge trug, dass der eigentliche Inhalt vermehrt in den Fokus der Betrachtung rückte und weniger das haptische Medium, welches diesen transportiert.
Der weitere Verlauf seines Vortrags stand unter mehreren Oberthemen, zu denen er unterschiedliche Tools präsentierte:
- U-Tube: Videos werden immer interaktiver („Era of participatory viewership“). Deshalb sieht Caplan großes Potenzial in Plattformen wie Twitch, die sich als journalistisches Tool entwickeln können. Genauso können TikTok oder Instagram neue bzw. ausbaufähige Entry Points für starken interaktiven Content sein.
- Visual Docs: Tools wie Notion oder Airtable sorgen für mehr Produktivität im Arbeitsalltag. Damit können Aufgaben oder Dokumente organisiert oder bearbeitet werden und bieten eine Plattform, um sich direkt mit Kollegen auszutauschen.
- Synthetic Media: 2020 werde laut Caplan das Jahr, ab dem Konsumenten stärker darauf achten müssen, ob Inhalte fake sind oder nicht. Am Beispiel der App Headliner zeigt er, wie bereits mit ganz simplen Lösungen Deepfakes erzeugt werden können. Diese sind zwar leicht zu entlarven, zeigen aber auf, wie gefährlich professionelle Varianten sein können.
Insgesamt war die Keynote von Caplan eine eindrucksvolle Präsentation nützlicher Tools, sowohl für Journalisten als auch alle anderen, die in irgendeiner Form an und mit Medien arbeiten. Definitiv eines der Highlights des diesjährigen scoopcamps.
Journalistische Vertrauensarbeit mit Alan Rusbridger
Alan Rusbridger war zwei Jahrzehnte lang Chefredakteur des Guardian, bevor er an die University of Oxford wechselte. Seine Keynote trug den Titel „Breaking News: How to regain trust in a world of information chaos“. Dementsprechend behandelte er das Thema Vertrauen im Journalismus und Medien allgemein.
„You can’t have justice without facts.“
Laut Rusbridger gäbe es unterschiedliche Möglichkeiten, an Wahrheiten zu gelangen. Problematisch sei es heutzutage nach wie vor, dass die Medienlandschaft zusätzlich verstärkt von (vorsätzlichen) Falschmeldungen durchzogen ist. Donald Trump habe zum Beispiel mittlerweile mehr als 12.000 solcher fragwürdigen Inhalte verbreitet.
Aus diesem Grund wirft Rusbridger die Frage auf: „What is the problem with trust?“ Die Menschen wissen (scheinbar) nicht, was sie glauben sollen in einer Welt, in der Deepfakes existieren und Qualitätsmaßstäbe sehr frei ausgelegt werden. Offensichtlich ist dies vor allem bei journalistischen Formaten überaus problematisch.
Wie kann sich dieses Problem also lösen? Die Gesellschaft müsse aktiv werden, so Rusbridger. Journalistische Arbeit brauche den Stellenwert eines Public Interest. Seine Analogie dazu war das frühere öffentliche Interesse an der Errichtung und Unterhaltung von Leuchttürmen. Derartige Einrichtungen brauchten kein Business-Modell und ähnliche solle es sich seiner Meinung nach mit dem Journalismus verhalten.
Das Fazit Rusbridgers war, dass die Berichterstattung ein Social Enterprise werden solle. Dazu können Bezahlmodelle, wie es beispielsweise der Guardian aktuell verwendet, förderlich sein. Statt Paywalls gibt es hier eine Art Public Payment Model, bei dem man wahlweise ein klassisches Abonnement abschließen oder die Arbeit der Journalisten mit einer beliebig hohen Spende unterstützen kann. Bereits jetzt zeichne sich diese Methode als ziemlich erfolgreich ab.
Helge Birkelund und der Sport: die Erfolgsgeschichte von Amedia
Die letzte Keynote des Tages stand ganz im Zeichen des Sports und erfolgreichem Lokaljournalismus. Helge Birkelund kommt aus Norwegen und ist Vice President of Sports beim dort ansässigen Medienhaus Amedia. Unter der Überschrift „How Amedia pivoted from a trad print newspaper company to a #1 sport broadcaster“ sprach er über das erfolgreiche Subscription-Modell des Unternehmens im Bereich der lokalen Berichterstattung.
Amedia habe 2010 als erstes norwegisches Medienhaus ein Fußballspiel live im Internet gestreamt, und das mit einer einfachen Webcam. Seitdem setze sich die Erfolgsgeschichte des aus rund 73 lokalen Zeitungen zusammengesetzten Netzwerks stetig fort.
- Man arbeite mittlerweile vor allem lokal und bewegt.
- Amedia verwende weniger (teures), dafür sehr mobiles Equipment.
- Recherchierter und generierter Content werde mit dem gesamten redaktionellen Netzwerk geteilt.
- Man gelangte schnell zu der Erkenntnis, dass Videos besser funktionieren als Fotos.
Amedia mache sich vor allem die niedrigen Kosten für die Rechte beim Lokalsport zunutze. Zudem steuert das gesamte Netzwerk Arbeitskraft für die Produktionen mit bei. Birkelund präsentierte insgesamt ein für sich gut funktionierendes und rentables Konzept, das durchaus als wegweisend im Lokaljournalismus betrachtet werden kann.
Spannende Pitches angehender Start-ups von morgen
Nach dem Mittagessen präsentierte sich das Inkubator-Programm von nextMedia.Hamburg: MEDIA LIFT. Hier wurden fünf innovative Geschäftsideen vorgestellt, die unterschiedliche Probleme in der Medienlandschaft angehen wollen:
- Wallie. setzt auf Mobile Wallet Marketing, also die Digitalisierung von Dokumenten aus Papier oder Plastik, als moderne und zeitgemäße Antwort auf klassische Coupons.
- SPACE WALK möchte den Platzbedarf von Virtual-Reality-Programmen drastisch reduzieren und somit ein zentrales Problem dieser Technik angehen.
- WUNDERPARC steht für eine KI-basierte Lösung, um die Kosten für die Erstellung von 3D-Szenen in Filmen oder Videospielen erheblich zu senken.
- Hinter NewsSeam verbirgt sich ein Algorithmus, der Texte selbstständig verstehen kann und auf diese Weise Artikel thematisch geordnet clustern soll.
- BotTalk ist eine Technologie, die Nachrichten vorlesen kann und dabei einen auf den Zuhörer maßgeschneiderten Newsfeed verwendet.
Auf der Website von nextMedia.Hamburg findet Ihr weitere Infos zum Inkubator-Programm.
Die Workshops: mitmachen ausdrücklich erwünscht
Am Nachmittag wurde es dann interaktiver, denn auch in diesem Jahr bot das scoopcamp wieder eine Reihe spannender Workshops.
Diese waren entweder als ein- oder zweistündige Session Tracks angelegt. Hier die Eindrücke von einem der längeren Workshops: Joachim Dreykluft, Barbara Maas und Marlene Borchardt von HHLab luden gemeinsam dazu ein, sich über die idealen Zustände im Journalismus bzw. der Medienlandschaft allgemein Gedanken zu machen. „Neu denken statt meckern: Wir bauen eine Medienutopie“ lautete der Titel des Workshops.
In kleineren Gruppen nahmen wir nach einer kurzen Einführung in das Thema Utopie eine Bestandsaufnahme vor. Jeder Teilnehmer sollte sich einmal über die Zustände in unseren heutigen Medien auskotzen und aufschreiben, was einen persönlich daran stört. Diese Kritikpunkte wurden gemeinsam geclustert und zu Oberthemen zusammengefasst.
Diese Oberbegriffe dienten schließlich dazu, ein konkretes utopisches Medienszenario zu erarbeiten. Dabei kamen interessante Diskussionen und vor allem spannende Ergebnisse zum Vorschein – zu Themen wie Publikumsanspruch, Arbeitsbedingungen oder Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Gerne hätten alle Teilnehmer, die doch sehr schnell verstrichene Zeit noch weiter verlängert.
Abschlussdiskussion und entspanntes Beisammensein
Im Abschlussgespräch wurde der Veranstaltungstag noch einmal fachgerecht resümiert und mit einer interessanten Diskussion unterfüttert. Mit dabei waren Anita Zielina, Romanus Otte, Peter Kropsch, Astrid Maier und Marco Fenske.
In der Diskussion ging es vor allem um das Thema der Monetarisierung von journalistischen Formaten. Man müsse noch stärkere Anreize schaffen, damit die Leserschaft weiterhin für Artikel und andere Inhalte bezahle. Ferner ging es um den generellen Wandel im journalistischen Feld, insbesondere mit Blick auf das Aufkommen neuer Medien. Besonders die jungen Zielgruppen seien über Kanäle wie TikTok immer schwieriger zu erreichen.
Direkt im Anschluss wurde das diesjährige scoopcamp in entspannter Atmosphäre bei Snacks und Drinks ausgeklungen. Wer Lust hatte, konnte sich hier noch einmal mit den Teilnehmern austauschen und fleißig netzwerken.
Unser Fazit
Insgesamt war das scoopcamp auch in diesem Jahr wieder eine rundum gelungene Veranstaltung und bot für alle Medienschaffenden interessante Einblicke. Mit Blick auf SEO und Content Marketing dürfte sich wahrscheinlich ebenfalls das Fazit ziehen lassen, dass visuelle Medien und Inhalte auch in diesen Bereichen eine immer stärkere Rolle spielen werden. Wie das genau aussieht, wird die Zukunft zeigen – wir bleiben gespannt!
Eine kurze Zusammenfassung des Tages findet Ihr zusätzlich in diesem Video:
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Eine Antwort
Hey, super Eindrücke. Hoffe ich kann beim nächsten auch dabei sein. LG.